Der Gedenkstein in Vlotho

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der in der Sprache der Nationalsozialisten als »Reichskristallnacht« in die Geschichtsbücher eingehen sollte, war es in Vlotho ruhig geblieben. Am frühen Morgen des 10. Novembers kam der Landrat nach Vlotho und sprach mit dem Bürgermeister und dem NSDAP-Ortsgruppenleiter über die Geheimbefehle, die er in der Nacht bekommen hatte.

Kurz darauf wurden am helllichten Tag die Synagoge, das Kaufhaus Loeb und jüdische Wohnungen verwüstet. „In Vlotho haben die Nazis gehaust wie Wilde“, so berichtet ein Augenzeuge über die Gewalttaten der Nationalsozialisten im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938. Im Gegensatz zum Reich, wo in der Nacht vom 9. zum 10. November die Synagogen brannten, spielten sich die Gewalttaten in Vlotho am helllichten Tage des 10. Novembers ab. Ziel war am frühen Morgen zunächst die Synagoge. Das jüdische Gotteshaus stand etwa im hinteren Bereich des heutigen Weser-Centers. Es war ein schlichtes Gebäude aus verputztem Horststein errichtet und mit einem Ziegelsatteldach versehen. Es hatte 68 Sitze für Männer und auf der Empore 44 für Frauen.

Ein Augenzeugenbericht aus dem Jahr 1991

Durch einen Augenzeugenbericht aus dem Jahre 1991 ist Genaueres über die Zerstörung der Synagoge und über die Täter bekannt: Der Augenzeuge war damals Lehrling bei der Amtsverwaltung und kannte die Personen gut, die an der Zerstörung beteiligt waren. Es waren seine eigenen Vorgesetzten. Er berichtet: „Am Morgen des 10. Novembers 1938 war ich zunächst im Nebenraum der Amtskasse beschäftigt. Von dort konnte man gut in den angrenzenden Garten gucken. Als ich an diesem Morgen aus dem Fenster guckte, sah ich, wie vier Männer mit Äxten und Vorschlaghammern aus dem Rathause kamen und durch Rüdenbergs Garten in Richtung Synagoge gingen.“

Der Augenzeuge berichtet dann, wie er klirrende Geräusche aus Richtung der Synagoge gehört habe und dann in die Synagoge hineingeschaut habe, zumal die Tür offenstand. „Ich trat einige Schritte hinein und sah, dass sich mehrere Personen in der Synagoge befanden, die dabei waren, die Synagoge zu zerstören, darunter die vier Personen, die ich vorher schon wahrgenommen hatte. Sie schlugen mit den mitgebrachten Werkzeugen auf alles ein. Sie benahmen sich alle wie wild geworden, wie verrückt.“ Er habe sich dann schnell entfernt, „denn vielleicht war das, was ich gesehen habe, etwas, was ich gar nicht sehen durfte...“

Der fanatische Erich Hartmann

Der Landrat des Kreises Herford, Erich Hartmann, war ein fanatischer Nationalsozialist. Da sich in der so genannten „Reichskristallnacht“ in Vlotho nichts ereignet hatte, war er nach Vlotho gekommen, um hier die Initiative zu ergreifen. Er wird die entscheidenden Handlungsanweisungen gegeben haben, die dann zu den Ausschreitungen geführt haben.

Im Zuge der Gewaltaktionen drang ein Trupp von SA-Männern in das Textilhaus Loeb ein, demolierte die Ladeneinrichtung, verwüstete die Privaträume und warf Waren und Wertgegenstände auf den Kirchplatz. Am Nachmittag des 10. Novembers verlagerten sich die Gewalttaten auf alle jüdischen Häuser und Mietwohnungen. Dort wurde erheblicher Schaden angerichtet und die jüdischen Bewohner wurden in Angst und Schrecken versetzt.Im März 1949 kam es vor dem Schwurgericht in Bielefeld zu einem Prozess gegen die national- sozialistischen Gewalttäter. Dabei wurden vier Männer wegen ihrer Beteiligung an den Gewalttaten zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Von MGG-Vorstandsmitglied Jürgen Gebhard, veröffentlicht in der Vlothoer Zeitung am 10. November 2020

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